KATALOG zur Ausstellung:

"Offener Ausgang", Bilder - Zeichnungen - Objekte, 2012

"Umkreisungen zum Werk von Ingo Regel"

Noch immer bewegt der Leipziger Künstler Ingo Regel sich als leichtfüßiger Wanderer im Spannungsfeld von gegenstandsbezogener und spiritueller Welterfahrung. Scheinbar unbeirrt von gesellschaftlichen Umwälzungen und veränderten Lebenskonstellationen verfolgt er seit nunmehr 30 Jahren ein künstlerisches Konzept, das offenbar von der Unwandelbarkeit der menschlichen Konditionierung ausgeht und deshalb die Botschaften des Mythos, die transrationalen Erweiterungen des Schamanentums oder die hermetischen Zeichen der mittelalterlichen Symbolik als noch immer taugliche und durchaus produktive Deutungsmuster einer chaotisch anmutenden Gegenwart unterlegt. Wichtig dabei ist freilich, dass diese kulturelle Substanz nicht im Sinne einer bewahrenden Überlieferung behandelt, sondern vielmehr als fortwirkender Impuls verstanden wird, für den es immer wieder eine zeitgemäße und sinnerfüllte Form zu finden gilt. Diese Suche nach der Form, die in sich autonom ist und doch die charakteristischen Ingredienzien ihrer Zeit transportiert, durchzieht leitmotivisch das Werk Ingo Regels von den frühen 1980er Jahren bis heute und hat sich in zyklischen Schüben zwischen den Antipoden der Formzertrümmerung und der Formverfestigung realisiert.

Angesichts dieser Entwicklung verwundert es nicht, dass Ingo Regel auch in den jüngeren und jüngsten Arbeiten, die bei dieser Auswahl den Schwerpunkt bilden, seinen erarbeiteten Axiomen treu geblieben ist und insbesondere im Rekurs auf mythologische Vorlagen der eigenen Existenz eine überindividuelle Fassung und Verankerung zu geben sucht. So findet sich beispielsweise der Zyklus Ikarus, dessen Entstehung sich über mehrere Jahre erstreckt und der offensichtlich immer wieder als Metapher der Bemühungen, sich aus erdenschweren Bindungen zu lösen und vogelartig aufzusteigen, befragt wurde. Doch auch hier wird, ähnlich wie bei Judith und Holofernes, das bekannte Geschehen nicht detailliert erzählt, sondern seine Kenntnis vorausgesetzt; die Konzentration richtet sich ganz auf die flügelbewehrte Einzelfigur und ihren exemplarischen Kampf zwischen dem Wunder der Überlistung der Schwerkraft und der Hybris der Selbstüberschätzung. Diese zeichenhafte Fokussierung auf den tragischen Helden, auf sein schwereloses Gleiten durch unbegriffene Umstände, deren Opfer er letztlich immer wird, trägt durchaus autobiografische Züge, ohne in privat-peinliche Talk-Show-Offenbarungen abzugleiten. Vielmehr spiegelt sie das Bestreben, auch ohne die Kenntnisse des erfindungsreichen Daidalos – der ohne weiteres durch Genforscher, Wirtschaftsbosse oder Politiker ersetzt werden könnte – auf seinem eigenen Traum vom Fliegen respektive Leben zu bestehen, ja sogar das Bewusstsein von der Möglichkeit des eigenen Absturzes zur Voraussetzung eigentlichen humanen Handelns zu erklären. Diese Lesart stellt sich quer sowohl zu den tradierten Auslegungen, in denen Übermut und Ungehorsam des Ikarus betont werden und sein Ende demzufolge als selbstverschuldet gilt, als auch zu allen Deutungen in Gefolge des großartigen Bildes von Pieter Breughel d.Ä., auf dem Ikarus zum Phantasten wird, von dessen Absturz der pflügende Landmann und mithin die rechtschaffene Gesellschaft nicht einmal Kenntnis nimmt. Nein, Ingo Regel ist ein großer Sympathisant dieses geflügelten Mischwesens, das weder der Erde noch dem Himmel ganz angehört und das gerade durch sein Scheitern ein immer wieder produktives Zeichen gesetzt hat, das dem erfolgreich Funktionierenden nicht vergönnt sein wird.

Eine andere bevorzugte mythologische Referenz findet sich in der Figur des Odysseus, dessen kollektive Rezeptionsgeschichte sich bekanntlich vom listenreichen Original Homers bis zur Dubliner Version des Ulysses von James Joyce spannt und dem schwerlich noch eine weitere Erzählschicht hinzuzufügen ist ….

Ausschnitte aus dem Katalogtext von Harald Kunde, 2012


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